Wie wir zu den Russen Kontakt aufnahmen

Nach Kriegsende  und Abzug der kurzfristig anwesenden Amerikaner, wurden wir  „Sowjetische Besatzungszone“.  Als die Amerikaner nach den letzten Schüssen des Volkssturmes, in Almrich einzogen und wir Jungens trotz Verbotes unserer Eltern zum Mühlplatz rannten, bot sich uns ein ungewöhnliches Bild. Auf  Panzern mit einem weißem Stern an der Seite und auf den Rücklehnen der Jeeps sitzend, warfen uns die, für uns ungewöhnlichen schwarzen und weißen Soldaten, Kaugummi und Schokolade zu und winkten freundlich. Der Volkssturm und die letzten Widerstandskämpfer in schwarzen Uniformen, vermutlich SS –Leute, flüchteten an unseren Bunker hinter dem Haus vorbei,  in Richtung Kaserne. Ich kann mich noch erinnern, dass meine Mutter sie beschimpfte und ein Soldat das Gewehr mit den Worten auf sie richtete: „Ihr habt uns nicht gesehen“ !Darauf verschwanden sie. Der Krieg war endgültig vorbei. Die jungen Frauen und Mädchen die sich schon bald mit den blitzsauberen Amis angefreundet hatten ,bekamen sie doch Seidenstrümpfe und andere begehrte Modeartikel geschenkt, wurde angeraten, sich vor den Russen die nun kamen zu verstecken .Plötzlich war alles ganz anders. Die Amis verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren. Sie wurden durch mit Dreck und ölverschmierte Russen ersetzt, denen ein schlechter Ruf vorauseilte..Alle hatten Angst! Täglich wurden Übergriffe bekannt. In der Linde wurde der Wirt erschossen, weil er keinen Schnaps an die Russen verkaufte. Auch kuriose Dinge erlebten wir. Nachdem sie ein Fahrrad weggenommen hatten versuchten die Russen Fahrrad zu fahren. Das Ergebnis waren üble Stürze. Es gab viele Episoden die man den Russen nachsagte und über die man lachte. Manche kamen ja aus dem tiefsten Sibirien und kannten für uns selbstverständliche Dinge nicht. An die „ Kommandantur gemeldete Übergriffe der russischen Soldaten ,wurden von dem Überfallkommando hart und streng bestraft. Die Übeltäter wurden vor Ort mit Gewehrkolben traktiert ohne Rücksicht auf die Gesundheit und wie ein Stück Vieh auf die LKW geworfen und abtransportiert. Nach dem Abzug der Russen, fand man in der Kasernengefängnisszelle blutverschmierte Wände! Diese Vorkommnisse prägte auch das Verhältnis der Bevölkerung und die verordnete „Freundschaft“. Aber langsam kehrte die Normalität des Alltages zurück. Wir Jungens wurden neugierig. Die täglich über den Lindenberg, in Richtung Saale galoppierenden Pferdeherden, weckten unser Interesse. Auf der anderen Saaleseite, zwischen Saaledamm und Saale, weideten die Pferde, bewacht von den am Lagerfeuer sitzenden Russen. Wir pirschten uns wie üblich vorsichtig an ,aber die Pferde hatten uns schon längst gewittert und schnaubten laut. Die Russen hatten uns entdeckt und winkten uns näher zu kommen .Sie waren freundlich zu uns, wir lächelten zurück. Der Bann war gebrochen. Es war ein ungewohnter Anblick, der sich uns bot. Dunkle mongolische Gesichtszüge, die auf uns im ersten Moment furchteinflößend waren, blickten uns an . Am Wochenende, als keine Schule war, waren wir schon am Vormittag dort. Jetzt erklärte sich auch das mittägliche Knallen .Die Russen fischten mit Handgranaten .Wir Jungen holten nun die Fische aus der Saale und durften uns auch welche am offenen Feuer braten. Ich habe nie wieder solche köstlichen, selbst gebratene Fische gegessen. Dabei war es nicht so einfach, wie es klingt, die Fische aus der fließenden Saale zu fischen. Schnell wurde man abgetrieben und man musste zusehen, dass man auch manchmal ohne Fische das Ufer wieder erreichte. Mit Händen und Füßen machten wir uns verständlich. Gegen  Abend rüsteten Sie zum Aufbruch. Mit Gesten deuteten Sie an, dass wir uns ein Pferd  fangen sollten .Als das nicht gleich gelang, halfen Sie uns. Sie halfen uns auch auf die Pferde und dann ging es plötzlich ab. Wir klammerten uns an die Mähne, denn Zaumzeug oder Halfter hatten die Pferde nicht. Mit Peitschenknallen und lauten Rufen, trieben Sie die Pferde an. Aber die wussten von allein, wo es hin ging. Über die Behelfsbrücke donnerten die Hufe, an der Kleinen Saale rechts ab ,über den Lindenberg bis zur Kaserne. Dort mussten wir schnell abspringen, denn in die Kaserne durften wir nicht mit hinein. Oft rutschten die Pferde an der kleinen Saale beim abbiegen auf dem Kopfsteinpflaster aus. Wer da nicht aufpasste ,wurde abgeworfen. Dem blieb dann der Rückweg von der Kaserne erspart. Wer einmal abgeworfen wurde,  war gewarnt. Es ist nie passiert, dass ein abgeworfener Junge von einem darauffolgenden Pferd getreten wurde. Als unsere Eltern unser neues Freizeitvergnügen erfuhren, ging das Theater zu Hause los, „Um Gottes Willen, wenn du runter fällst, wenn euch du Russen etwas tun, usw.“ Am nächsten Tag waren wir wieder dort. Manche Pferde hatten einen hohen Widerrist, das ist der Rückenknochen der nach dem Hals in den Rücken übergeht und auf dem man sitzt. Wer so einen Gaul erwischte, holte sich schnell einen sogenannten „Wolf“, das war sehr schmerzhaft und es dauerte einige Tage bis die aufgerittenen Stellen wieder heilten. Man musste dann in einer auffälligen breitbeinigen Haltung herumlaufen und wurde ausgelacht. Auch das Mahorka rauchen lernten wir von den Russen. Mahorka, das sind kleingehäckselte Tabakstrunke, die die Russen lose in Ihren Taschen hatten . Aus russischen Zeitungspapier ,der Prawda, drehten sie daraus schnell Zigaretten. Die Russen lachten laut, als wir hustend und spuckend die ersten Züge machten. Wir ließen es schnell wieder sein. Irgendwann kamen die Russen nicht mehr , sie hatten andere Weidegründe gefunden und das schöne Spiel hatte ein Ende.    
                                                                                                                                         H.R.